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Gespaltenes Verhältnis

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Kryptozahlungen stoßen im deutschen Handeln bislang auf wenig Gegenliebe.

Kryptozahlungen stoßen im deutschen Handeln bislang auf wenig Gegenliebe. Doch der Druck der Konsumenten wächst. Experten sehen im digitalen Geld die Zukunft des Bezahlens – und langfristig könnte sich die neue Technologie für Händler sogar lohnen. | Sonia Shinde

In Brasilien hat die Zukunft des Bezahlens schon begonnen: Ab Ende August können die rund 80 Millionen Kunden des Online Händlers Mercado Libre Waren mit dem Mercado Coin bezahlen. Man glaube an das Potenzial von Blockchain und Kryptowährungen, sagte das Unternehmen anlässlich des offiziellen Launches Mitte der Woche. Der Handelsriese, der als Amazon Lateinamerikas gilt, will den Blockchain basierten Coin „bald“ in weiteren Staaten der Region ausrollen. „Mit Kryptowährungen geht alles viel schneller, Überweisungen, internationale Transfers, Wertstellungen“, schwärmt Esteban Sadurni, Spezialist für Kryptogeschäfte beim britischen Fintech Checkout.com. Er glaubt fest an die Kryptogeld-Zukunft. Große Erfolge der digitalen Währungen, die auf der Blockchain beruhen, sieht er aber vorerst in jenen Ländern, in denen nur wenige Menschen über ein Bankkonto verfügen oder in Staaten, deren Währung relativ instabil ist. Das dürfte auch für Brasilien zutreffen. Dessen offizielle Währung Real gilt als extrem volatil.

In zwei bis drei Jahren, dürften Kryptozahlungen auch in Europa an Bedeutung gewinnen, schätzt Sadurni. „Immer mehr Menschen speichern ihre Ersparnisse auf Kryptokonten.“ Da sei es nur logisch, dass sie mit dieser Währung auch direkt bezahlen wollten. Einzige Ausnahme: „Die Deutschen lieben ihr Bargeld“, sagt er und sie seien bei Zahlungstechnologien bisher immer ein bisschen langsam gewesen. Doch Experten sehen erste Händler und Verbraucher bereits auf dem Weg in die schöne neue Krypto-Welt, wenn auch nur zaghaft. „In der Bevölkerung treffen Kryptozahlungen noch nicht auf breite Akzeptanz, das ist in etwa vergleichbar mit der Währungseinführung im Mittelalter, da war die Skepsis auch groß“, sagt Mailin Schmelter, Expertin für digitale Bezahlmethoden beim Kölner Institut für Handelsforschung. Gleichwohl sieht sie Potenzial in den digitalen Coins: „Vor allem in der Gaming-Welt und unter Jüngeren steigt die Akzeptanz von Kryptowährungen stetig. Gerade bei Computerspielen wird immer häufiger mit Kryptocoins bezahlt.“ Das wiederum bereite den Boden für eine breitere Nutzung in der Zukunft. Ähnlich sieht es auch Kevin Hackl, Kryptowährungsexperte beim Digitalverband Bitkom. Er sieht vor allem in Stablecoins großes Potenzial, insbesondere wenn sich ein Euro-backedstable-coin etabliert (siehe Komplett kryptisch). Das könnte zum Beispiel der Euroc sein, der Ende Juni auf den Markt kam. Der Stablecoin ist an den Währungskurs des Euro gebunden, ähnlich wie der USDC an den US-Dollar. „In fünf Jahren könnte das Bezahlen mit Stablecoins wie zum Beispiel dem Euroc, im Onlinehandel Alltag sein“, schätzt Kevin Hackl.

Auch für ihn sind die ersten Krypto-Bezahl-Stationen das Metaverse und das Web 3.0. „Wenn aus diesen Nischen heraus eine kritische Masse entsteht, verfestigt sich der Trend“, sagt er. Wegregulieren ließen sich die privatwirtschaftlichen Stablecoins nicht mehr. „Ich glaube, in fünf bis sechs Jahren wird es eine Koexistenz geben zwischen Bargeld, Kryptocoins und digitalem Zentralbankgeld.“ Ginge es nach Frank Düssler, dürfte der Weg für Kryptocoins in den Handel noch ein weiter sein: „Kryptowährungen kommen in Deutschland nicht so richtig an“, sagt der Sprecher des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel. „Mag sein, dass es bei einigen Kunden hipp ist, beim Checkout mit Kryptowährungen zu bezahlen. Für Händler lohnt sich das nicht, Kryptowährungen sind nicht alltagstauglich“, urteilt er. Die Brückenlösungen der Kartenanbieter und Zahlungsdienstleister sind für ihn eine „Mogelpackung“: In einem ersten Schritt tauscht der Kunde Euros gegen Kryptowährungen, dann zahlt er damit, der Kartenanbieter oder die Coinbörse im Hintergrund tauscht die Kryptocoins dann wieder zurück in Euros, die dann schlussendlich beim Händler landen. „Der Sinn dieses unnützen Zwischenschritts erschließt sich mir nicht. Wenn Händler anbieten, man könne bei ihnen mit Kryptowährungen bezahlen, dann ist das reines Marketing.

„Langfristig sind Krypto-Payments für den Handel interessant“, widerspricht Bitkom-Experte Hackl. Kryptowährungen könnten Clearing und Settlement deutlich vereinfachen und damit Transaktionskosten senken. „Unterm Strich ist das für den Handel günstiger.“ Doch ob nun Marketing oder Kostenersparnis, „wichtig ist, dass sich deutsche Händler mit dem Thema auseinandersetzen“, sagt Jens Hermann Paulsen, Leiter des Deloitte Blockchain Institute. Es gelte, die Chancen aufmerksam zu beobachten, zu lernen und zu testen. Erste Händler hierzulande wagen zaghafte Schritte – wenn auch über einen Umweg: 45 Bitcoin-Automaten stehen aktuell in Deutschland. Rund 220 Automaten hat der österreichische Betreiber Kurant bereits aufgestellt, und zwar in Österreich, Griechenland, Spanien und Deutschland. Acht Prozent Provision werden fällig, wenn registrierte Kunden zum Beispiel beim Wochenend-Einkauf noch schnell ein paar Scheine in Bitcoin investieren wollen. Dennoch werde der neue Service gut angenommen, heißt es beispielsweise bei Media Saturn. Noch bis zum Herbst testet der Elektronikhändler die Automaten an seinen Standorten in Köln, Frankfurt und Dortmund. „Wir erhoffen uns Erkenntnisse zur Frage, ob Bitcoins relevant für unsere Kunden sind“, so eine Sprecherin. Derzeit sei man dabei, sämtliche Aspekte rund um die Bezahlung mit Kryptowährungen zu prüfen.

Vor allem Dienstleister treiben die Entwicklung: So bietet Shopify, eine Art Ladenbauer für Onlineshops, Händlern seit Juli die Möglichkeit, Kryptowährungen in ihrem Checkout zu akzeptieren. Weltweit basieren derzeit rund eine Million Onlineshops auf der Software der Kanadier. Auch Zahlungsdienstleister wollen Händlern die neue Technologie schmackhaft machen: Man habe das Portfolio an Händlerkunden, die das Bezahlen per Kryptowährungen anfragen und nutzen wollen, in den vergangenen Monaten kontinuierlich erweitert, heißt es beispielsweise bei Concardis. „Das Interesse ist nach wie vor groß“, sagt auch Mitbewerber Worldline. Das Unternehmen bietet Händlern die Möglichkeit, Krypto-Zahlungen zu akzeptieren, sowohl online als auch stationär. „Einige hundert Merchants sind live, darunter auch repräsentative Schweizer Großkunden“, sagt Unternehmenssprecherin Susanne Stöger. Diese würden „die Lösung an ausgewählten Standorten testen und in weiterer Folge auf das gesamte Filialnetz ausrollen wollen“. Namen will das Unternehmen nicht nennen, zu den Transaktionsvolumina seit Einführung der Lösung im August 2021 heißt es fast schon kryptisch: „mehrere Millionen Schweizer Franken“. Im kommenden Jahr will Worldline mit seiner Bezahl-Lösung für Kryptowährungen in zwei weiteren europäischen Ländern an den Start gehen.

Beim Schweizer Online-Kaufhaus Digitec Galaxus, einer Migros-Tochter, sind Kryptozahlungen fast schon ein alter Hut. Seit 2019 können Kunden sie nutzen. Einen großen Run gebe es aber nicht. „Die Bezahlung via Krypto ist auf niedrigem Niveau stabil, der Anteil der Einkäufe liegt unter einem Prozent“, sagt ein Sprecher. Allerdings sei der Wert des Warenkorbes höher als bei Einkäufen mit anderen Zahlungsoptionen. Mancher Händler hat sogar mit Kryptowährungen zu tun, ohne es zu ahnen: 3,5 Milliarden US-Dollar setzten zum Beispiel Konsumenten im vergangenen Jahr weltweit um, weil sie mit ihren Visa-Kryptokarten im Handel bezahlten. Visa ist damit nicht allein, immer mehr Zahlungsdienstleister setzen auf Kryptowährungen für Karten, Kunden oder Händler und hoffen auf einen Schub, sobald Konsumenten häufiger Kryptozahlungen nachfragen. „Das Interesse bei Konsumenten und Händlern ist gleichermaßen groß“, sagt Nikola Plecas, europäischer Kryptochef bei Visa. Der Mitdreißiger will den digitalen Währungen den Weg in die analoge Welt ebnen. Die Krypto-verknüpften Visakarten sollen die Brücke sein zwischen traditionellen und digitalen Währungen. Kunden können ihre Kryptokarte wie jede andere Visakarte verwenden, abgewickelt wird die Zahlung in Fiat, herkömmlichen Währungen, wie Euro oder Dollar. Eine Konkurrenz zwischen Fiatgeld und Kryptocoins sieht er dabei nicht, eher eine Koexistenz.

Langfristig sieht er vor allem so genannte Stablecoins als eine Art Alltagswährung, die genauso zum Einkaufen taugen könne, wie heutzutage Scheine oder Münzen. Wann Stablecoins aber tatsächlich im Bezahlalltag ankommen werden, ließe sich nicht genau sagen. „Wir sehen aber das Potenzial, dass diese neue Payment Methoden in den nächsten fünf bis sieben Jahren im Mainstream ankommen und genutzt werden.“ Auch Rivale Mastercard möchte Konsumenten, Händlern und Banken das Zahlen mit Bitcoin und Co. ermöglichen und bietet Programme an für unterschiedliche Bitcoin-Wallets, in denen Kryptocoins aufbewahrt werden können. Wer zum Beispiel Hotels oder Flüge bucht und mit Mastercard bezahlt, kann sich dann seine Treuepunkte in Bitcoin ummünzen lassen. „Wir wollen Verbraucher, Händler und Unternehmen selbst entscheiden lassen, ob sie lieber in Krypto- oder in Fiatwährungen einkaufen und bezahlen wollen“, sagt Christian Rau, der für Mastercard in Europa das Krypto-Segment verantwortet. Sofern dies im Rahmen geltender Gesetze und des Konsumentenschutzes möglich sein.

Genauso wie Visa, sieht auch Mastercard für die Zukunft des Bezahlens eher eine „hybride Wirtschaft“. Laut dem aktuellen „New Payment Index“ von Mastercard und dem US Marktforscher Harris Poll will in Deutschland in etwa jeder Dritte zwischen Fiatwährung und Kryptogeld hin und her wechseln können, fast jeder Vierte hat im vergangenen Jahr Kryptocoins gekauft, gehalten oder darin investiert. Gleichzeitig wollen deutsche Verbraucher Sicherheit: Etwas mehr als 40 Prozent würden sich beim Senden oder Empfangen von Kryptozahlungen besser fühlen, wenn diese durch „eine vertrauenswürdige Institution“ abgesichert würden. Fast die Hälfte der Befragten wünscht sich eine staatliche Regulierung des Krypto-Sektors. Seit Ende 2020 können auch Paypal-Kunden in den USA mit Bitcoin, Ethereum, Bitcoin Cash oder Litecoin bezahlen. Eine Ausweitung auf andere Länder ist geplant, wann will das Unternehmen nicht preisgeben. Angeblich arbeitet Paypal sogar an einem eigenen Stablecoin, gibt sich dazu aber ebenfalls extrem schmallippig: „Falls und wenn es konkret wird, werden wir mit den entsprechenden Regulierungsbehörden eng zusammenarbeiten“, so ein Sprecher.

Zu frisch dürfte vielleicht die Erinnerung an das Scheitern von Facebook sein. Im Sommer 2019 hatte das soziale Netzwerk seine eigene Kryptowährung Libra angekündigt. Die Zentralbanken in Europa und den USA waren davon nicht begeistert, Datenschützer hatten Bedenken, Regulierer stellten sich quer. Als danach immer mehr Kooperationspartner absprangen, unter anderem Paypal, Visacard und Mastercard, musste Facebook seine Pläne auf Eis legen. Ein Revival unter dem Namen Diem scheiterte ebenfalls. Im Januar verkaufte Meta, wie der Facebook-Konzern inzwischen heißt, die Technologie an eine kleine Bank in Kalifornien. Unterm Strich bleibt die Zukunft des Bezahlens vorerst wohl – kryptisch. lz 34-2